1842 – 1891 Portugal
Wilhelm Storck
Giebt’s Erdenschönheit, hoch wie du und hehr,
Der glühen Seel’, erhab’nes Traumgebilde,
Deß Glanz mir endlos strömt in’s Herz, das wilde,
Gleichwie die Sonne widerstrahlt vom Meer?
Groß ist die Welt, - drum hast’ ich voll Begehr,
Dich drin zu schau’n, und such’ im Erdgefilde,
Ich Aermster! gläubig einen Gott der Milde;
Doch steht da sein Altar nur – morsch und leer;
Nicht sterblich ist was vor dir knie’n mich heißt;
Was bist du hier? Blick voller Güt’ und Klarheit,
Im Becher Gift du Tropfen Honigseim,
Urgrund der Thräne, die im Aug’ ergleißt,
Traum meiner Träume! Zeige, bist du Wahrheit,
Dein Wesen wenigstens im ew’gen Heim!
Vom Berge stürzt ein Meer von Glanz und Glast:
Der Tag – Der Bräutigam betritt die Schwelle;
Wo giebt es Kummer noch, den nicht die Helle,
Drein rings die Welt sich taucht, verscheuch’ in
Hast?
Die Blum’ am Fels, wo kaum sie Wurzel faßt,
Die eis’ge Bucht, der See bewegte Wele,
Kein Ding verweilt an so verlass’ner Selle,
Daß nicht der Himmel Trost ihm biet’ und Rast.
Gott ist ja Vater, Vater aller Wesen,
Und seine Huld bedenkt das Groß’ und Kleine:
Er sieht der Kinder Leid von seinem Thron;
Hat Allen Gott dies heil’ge Licht erlesen
Zur Freud’ und läßt mir Trauer, mir alleine,
So bin ich Sohn zwar, doch verstoß’ner Sohn.
Auf deiner Stirn hat Gottes Hand geruht:
Der Kriegern Kraft und Sängern giebt Gedichte,
Mild blickt’ er auf dich, Huld im Angesichte,
Und sagte: „Tochter, geh, sei schön und gut!“
Und niedersteigend auf melod’scher Flut,
Kamst du zum Thal der Thränen und Verzichte,
Ein Stern, verschleiert mit geweihtem Lichte,
Mit deines Blicks verklärter Strahlenglut;
Ich aber – kann ich je dir nahesteh’n?
Gott gab dir, Weib, was sonst versagt im Leben:
Engel, er gab dir eine Welt für sich;
Mir, dem er Augen gab, um dich zu seh’n,
Nur dich zu seh’n – was ward mir mehr gegeben?
Ein liebend Herz, ein Liedermund für dich.
Im Leben ist der Freudenbecher schmal;
So tief und weit dagegen wie das Meer
Und ähnlich ihm, an Glücke karg und leer
Ist auf der Welt der bitt’re Kelch der Qual;
Doch hegt der Mensch, solang’ im Erdenthal
Er pilgert ungewiß und voll Beschwer,
Trotzdem nach Lieb’ und Freud’ ein heiß Begehr,
Und stets bestimmt dies Hoffen seine Wahl;
Gott legt’ Erkenntnisdrang in uns’re Brust
Und stellt’ in’s Leben doch den Sinnentrug:
Wir suchen Licht und finden nichts als Schein;
Ward uns im Daseinskampf für Leid und Lust
Empfänglichkeit, war Eins da nicht genug:
Den Wahn belassen oder – nicht verleih’n?
Ich nahm die Schönheit wahr, die nicht vergeht,
Und trüb verblieb ich. Wie vom Bergesrande,
Wenn euer Blick betrachtet See’n und Lande,
Ihr Thurm und Schiff und Alles, was besteht,
Im Licht verschrumpfen und verschwinden seht:
So ward mir Jegliches im Weltbestande
Farblos, ein Wölkchen, das im Duftgewande
Des Abends wallt und ob dem Meer verweht.
Indeß im Schein ich Sein zu seh’n erhoffe,
Irr’ ich in Nacht und stoße mich am Stoffe
Und treff’ auf Unvollkomm’nes weit und breit;
Zu Theile wurde mir die Dichtertaufe,
Und mich umgab der Ding’ entstellter Haufe,
Und trüb und bleich verblieb ich allezeit.
Die Tage geh’n dahin, ein leer Getön,
Freudlos und leidlos, und mir ist, als bliebe
Vom inn’ren Feuer nichts als ein Gestiebe
Lichtfunken, die entstünden und entflöh’n;
Süß ist das Leben, und die Jugend schön,
Und Liebenden gebricht es nie an Liebe;
Doch hier die Schönheit, weckt sie Sinn’ und Triebe,
Gemahnt an and’re dort in lichten Höh’n;
Himmlisches sucht, o Gott, des Herzens Drang:
Und liebt’ ich Irdisches auf kurze Dauer,
So that’s zum ew’gen Vaterland der Hang;
Doch gieb Gewähr dem ahnungsvollen Schauer –
Die gieb, und heiter trotz Beschwer und Zwang
Will allezeit ich segnen dann die Trauer.
Wenn ich vergleiche Ruhm und Gold und Macht.
Was uns Fortuna beut zu Last und Zwange,
Mit Amors Gabe, dem gewalt’gen Drange,
Der Liebe heißt und reine Glut entfacht:
So scheint mir Jen’ ein Weib, die mit Bedacht
In sitt’ges Lächeln hüllt die List der Schlange,
Und wer ihr folgt, ein Thor, der nied’rem Hange
Nachgeht und, Die getreu ihn liebt, verlacht;
Solch öde Lust – Wahn ist sie voll und ganz,
Und all ihr Glück ist trügerisch und schal,
Ein eit’les Pochen auf verkehrte Triebe;
Zwar leiht die Leidenschaft ihr höchsten Glanz,
Wie Leidenschaft sogar verschönt die Qual,
Doch aus der Seel’ entquillt das Glück der Liebe.
Auf Gott gehofft! – Er hat mit Schöpfermacht
Vormals den Stoff, kalt, ungeschlacht und fade,
In kurzer Frist gebildet und aus Gnade
Licht, Kraft, Bewegung, Alles drin entfacht;
Der Aermst’ im Geiste wird von ihm bedacht
Mit Lieb’ und Huld; er führt zum rechten Pfade,
Auf daß der Fehl nicht ewiglich ihm schade,
Wer ihn verließ und sank in finst’re Nacht;
Und mir, der heiß ich ihn ersehn’ und liebe
Und such’ ein höh’res Sein im ird’schen Frohn,
Mir sollt’ er weigern dieses Ziel der Triebe?
Er ruft Verirrt’ und – ich, ich rief’ im Staube
Nach ihm vergebens, ein verstoßner Sohn?
Mein Herr und Vater! Gott! ich hoff’ und glaube.
Im Himmel, wenn ein Himmel, wie man lehrt,
Besteht und stillt die Plagen all und Peinen;
Wenn dort die Liebe sich verklärt zu reinen
Lichtflamme, die erwärmt und nicht verzehrt;
Im Himmel, wenn ein Geist, den man verehrt,
Dort wohnt und hört all unser Fleh’n und Weinen,
Ein Vater, dessen Huldgewand die Seinen
Mitleidig deckt, obwohl er mir’s verwehrt;
Im Himmel, Jungfrau, heilen Weh’ und Wunde;
Dort werd’ ich neu geboren, der ich hier,
So scheint es, ward geboren bloß für Schmerzen;
Dort, Lilie du vom lichten Himmelsgrunde!
Entglüht, indem sie lischt, zu schön’rer Zier
Und ew’gem Glück die Lieb’ in uns’ren Herzen.
Wenn’s Regel ist für uns’ren dunklen Geist,
Daß wir vergebens forschen nach dem Wahren,
Ursach’ und Grund sich nie uns offenbaren
Und jeder Fund zu tief’rem Fall uns reißt:
Ist’s Regel auch, die Gram und Pein verheißt,
Daß stets wir spähend nichts erschau’n im Klaren
Und als gewiß und wirklich bloß erfahren
Was voll und faßlich der Verstand erweist;
Was bleibt der Seel’ in solchem Trug zur Wahl?
Sie glaubt – und ist von Zweifeln rings umgeben,
Sie sucht –und Irrthum trifft sie fort und fort;
Bei Gott allein ist Hülf’ in solcher Qual:
Laß Licht uns hoffen denn im and’ren Leben,
Hier sei’n verbannt wir, heimberechtigt dort!
Einsam! – Den Klausner am Gebirgesrand
Besucht der Herr, ihm Zuversicht zu schenken;
Der Schiffer, den umher die Stürme schwenken,
Hofft günst’ge Fahrt nach wüstem Wogenbrand;
Einsam! – Der Siedler am entleg’nen Strand,
Den Sein’gen fern, bewahrt ihr Angedenken
Und hegt Vertrau’n, der Himmel werd’ ihn lenken
Wohin er Nachts verlangt im fremden Land;
Einsam! – Der ist es nicht, den noch ein Wille
Beseelt und noch ergreift ein Mißgeschick,
Ein Leid, ein Lieben – oder gar ein Hassen;
Doch steh’n gekreuzt die Arme, starr und stille,
Und durch die Menge geh’n mit ödem Blick,
Das heißt vereinsamt sein, das heißt verlassen.
Stets – stets die Zukunft, und die Gegenwart
Niemals! Es sei die Stunde, drin man lebt,
Die trübste stets, von Sorg’ und Schmerz durchbebt,
Und bloß beglückend die man noch erharrt? –
Was liegt an Zukunft, wenn sich wie verstarrt
Die Stunde, der man hoffend zugestrebt,
Herschleicht – erscheint – und schmerzenvoll
entschwebt?
Giebt’s Hoffnung denn, die nicht uns neckt und
narrt?
Wahn oder Unglück? – Was du willst und meinst,
Entflieht’s dir, ist es Trug, und bleibt’s besteh’n,
Ein schlimm’rer Spuk – Elend, um das du weinst;
So nah’n gemach die Lebenstag’ und geh’n:
Das Jetzt – ein Warten stets auf ein Dereinst,
Und das Dereinst – nur Lug und bitt’re Weh’n.
Wie darfst du zweifeln, Weib, an Lieb’ und Leben,
Den Hermon zum Calvariberg verkehrend,
Und, allgemach in Trauer dich verzehrend,
Das feuchte Schweiftuch bang’ um’s Haupt dir weben?
Entfloh ein Traum dir, den umsonst mit Beben
Einsam du suchst, jedweder Lust entbehrend?
Ahnt dir ein Schicksal, rauh und herzversehrend,
Daß deine Stirn du senkst, dem Harm ergeben?
Nicht doch! Das Glück war treu dir alle Tage;
Gott gab die Schönheit dir zum Angebinde
Und Gnaden viel, die nichts vermag zu rauben;
Du zweifelst? Du? – und ich, betrübt und zage,
Der mein Geschick in deinem Blick ich finde,
Was habe, falls du zweifelst, ich zu glauben?
Schweig mir von Ruhm! auf and’rem Hochaltar
Anzünd’ ich Opfer in geweihter Stunde
Und spreche gläub’ger mit Gemüth’ und Munde
Gebete dort, inbrünstig, fromm und wahr;
Ruhm! beut er denn Anbetenswürd’ges dar?
Qualm, der am Abgrund hängt in weiter Runde –
Giebt von der unermess’nen Lieb’ er Kunde?
Der Trieb – ist nicht jedweden Glücks er baar?
Vollkomm’ner ist ein and’rer, hehr und rein,
Ein sich’rer Leitstern auf empörten Meeren,
Von stetem, herrlichem, gewalt’gem Schein;
Den will ich suchen, senken mein Begehren
Ganz in der ew’gen Lieb’ erhab’nes Sein
Und nur in diesem Feuer mich verzehren.
Nur Leid ist wirklich, Schmerz allein besteht,
Trugbilder bloß sind Lust und Wohlbehagen;
Glück ist ein Nichts, ein Wahn, der rasch verweht;
Tag, Stund’ und Augenblick erzeugen Plagen;
Ihr sucht das Sein, obwohl in solchen Fragen
Licht vom Naturnothwend’gen nicht ergeht;
Nach Glücke, wie’s das Herz ersehnt, zu jagen,
Was frommt’s, als daß ihr tiefbetrübt euch seht?
Ach, könnte man die Lebensbahn durchmessen
Im Traum, daß nichts man schaute weit und breit! –
Blieb’ inn’re Schau, wär’ alles Müh’n verloren;
Wer so beglückt nur wäre, zu vergessen! –
Doch schliefe damit nicht zugleich das Leid,
Das schlimmste Leid, daß hier man ward geboren!
Ich trachte nicht nach Gunst und Ruhm der Welt;
Was schiert mich Volksgeschwätz, der leere Schwall?
–
Gott heute – morgen nichts, ein Federball,
Den Spielens müd’ ein Knabe von sich schnellt;
Ein flackernd Licht, deß Schein uns schlecht
erhellt,
Ist solch Geschick, - verlor’ner Echoschall;
Je mehr man sucht, so mehr entweicht der Hall,
Taub jedem Schrei, der ihm entgegengellt;
Unecht ist jede Blum’ in diesem Kranz,
’s ist eine Spiegelung im Nebeldunst,
Statt Zauberkraft ein öder Firlefanz;
Doch kröne du mich; flicht mir ohne Kunst
Lorbeer um’s Haupt, noch baar an Schmuck und Glanz,
Dann siehst du, ob ich liebe Ruhm uns Gunst.
Kampf ist umsonst; wie düst’re Nebelschicht
Liegt Ungewißheit überall ergossen;
Der Geist verfällt, und räng’ er unverdrossen,
Allzeit den Maschen, die er selbst verflicht;
Sinn und Verstand, auf tausend Plän’ erpicht,
Sind alsobald, wie flücht’ger Rauch, zerflossen;
Der Wille, stets ehrgeizig und entschlossen,
Gleicht doch der Welle, die am Fels Zerbricht;
Freunde! die Seel’ ist wie ein Hochgesang
Auf Licht und Freiheit, ist nach Glück ein Streben,
Göttlicher Ahnung voll ein Ruf und Drang;
Gleichwohl, - von öder Wüste rings umgeben,
Verhallt ihr Schrei, und mit verstarrtem Zwang
Stumm ruht das Schicksal über Welt und Leben.
Auf düst’rewr Schicksalsschwing’ entweich im Flug,
Du Liebestraum, Spuk einer flücht’gen Stunde,
Den ich im Wahnsinn preßt’ an’s Herz, das wunde,
Zergeh wie leicht Gewölk im Windeszug!
Fort was in tiefster Brust mit List und Lug
Jach Wurzel schlägt und saugt mit gier’gem Munde
Das Lebensblut, gleichwie in trautem Bunde
Ein Freund sich mit uns letzt aus einem Krug!
Sei denn die Hoffnung bloß ein nicht’ges Scheinen,
Dieweil ihr stets zur Seite steht der Schmerz,
Und bloß das Unglück treu und ohne Tücke!
Ach, wär’ es Rache doch, geheim zu weinen!
Verschliefs dich in dich selbst, betrübtes Herz,
Vielleicht daß hoffnungslos du kommst zu Glücke.
Seit allgemach mir ward zerstückelt und zerfetzt
Das lockende Gewölk, dem gold’ger Glanz entsprühte;
seit jeden Stern ich sah mit bangendem Gemüthe
Am Lebenskimmel bleich und blaß vergeh’n zuletzt;
Und seit ich, starr gekreuzt die Arme, sah entsetzt,
Daß Oede mich umgab und nirgend Licht erglühte,
Darnach ich könnte schau’n, und daß sogar die Blüte
In meinem Garten starb, die ich zumeist genetzt:
Da wandt’ ich meinen Schritt vom dornigen Gedicke
Nach and’rem Himmelsstrich und lenke nun die Blicke
Zum leuchtenden Gestirn, draus Lieb’ entquillt und
rinnt;
Sei ohne Furcht! O komm! Lind ist die Luft, und
stille
Das Meer, und stumm die Flur, und mein Begehr und
Wille –
Mein Wille? Siehst du’s nicht? Weib, komm, o komm
geschwind!
Lieben! jedoch mit Lieb’ in vollster Kraft;
Nicht sei’s das Spiel zaghafter Herzergüsse,
Nicht sei’s der Wahn sehnsüchtiger Genüsse,
Die thöricht ein erhitztes Hirn errafft!
Liebe, die brennt und flammt! mit Keim und Saft
Mein Sein erfüllt! – nicht leere Grüß’ und Küsse,
Der Luft vertraut, Frucht schwankender Entschlüsse!
Nein, Liebe sei’s, die Leben hat und schafft!
Ja, hell und heiß! die nicht im Morgenlicht
Dem Arm entschlüpft und schweift in alle Ferne
Wie flüchtiger Geträume Nebelschicht, -
Und nicht im Mittagsbrande welk zerstiebt, -
Denn was vermag sogar die Macht der Sterne
Gen schwache Liebe, wenn sie lebt und liebt?
Mein Zimmwer schmückt’ ich mit entknospter Karde,
Von Amberduft verstreut’ ich reiche Spenden;
Ich hüllt’ in Seid’ und Purpur Brust und Lenden
Und übte mich in Liedern wie ein Barde;
Ich salbte Händ’ und Angesicht mit Narde,
Die fern des Orients Gefild’ entsenden:
Es galt für heimlichen Besuch verwenden
All meinen Schmuck wie eine Königsgarde;
War’s eine Fee, ein Fürstenkind, ein Wesen
Aus Himmelshöh’n und hatt’ in selt’ner Weise
Mein dumpf Gemach zum Aufenthalt erlesen? –
Nicht Fee, noch Fürstenkind. Es kam, o Holde,
Dein Angedenken kam und pochte leise
Bei meineer Lieb’ an’s Thor aus Licht und Golde.
Dich nennt „die Kleine“, wer dir wohlgesinnt,
Und „zart“, wie Schleier hold im Tanze schweben;
Der Name „Fräulein“ wird dir kaum gegeben,
Da dein Gewand noch deutet auf ein Kind;
Du bist das Bächlein, rinnend leis’ und lind,
Das Lindenblatt, bewegt vom Windesweben,
Die Brust, die jede Mühe macht erbeben,
Die Stirn, sofort gesenkt, wenn Leid beginnt;
Doch im Gebirge, Mädchen, wo ich stand,
Erfüllte mich so sehr mit Angst und Schmerz
Des Alls Geklage rings um Klüft’ und Kuppen,
Daß nie ich mag beherrschen Leut’ und Land;
Mein Königreich sei dein getreues Herz,
Mein hör’ges Volk, Geliebte, deine Puppen.
XXIII.
Sulamith.
„Was wandelt dort umher im Rebengrund,
Wo Schatten halb das Mondenlicht verstecken?
Leis geht’s und späht bestürzt nach allen Ecken,
Ausathmend sanft und süß wie Kindermund?“ –
„Mich weckt’ ein Traum, den selbst ich nicht
verstund:
Der Liebste kam, und mich befiel ein Schrecken;
In tiefer Finsterniß, auf wüsten Strecken,
Ja! träumend ahnt wer liebt, versehnt und wund;
Töchter des Landes, geht und sagt geschwind
Dem Liebsten, daß ich wär’ in Schlaf gesunken,
Doch könn’ er sorglos sein und frohgesinnt;
Denn schlief ich, wie’s mein Brauch, alsbald zur
Nacht,
Seht doch: obgleich mein Auge schlummertrunken,
Mein Herz verbleibt stets schlummerlos und wacht.“
Ich hätt’ ein Eiland – dünkt mich oft im Traum –
Weit weit im Ost als Fürst in meiner Hut:
Balsamisch haucht die Nacht, die Erde ruht,
Im Mondenschein ergleißt der Wellenschaum;
Vanillestaude wie Magnolienbaum
Durchwürzt die Kühle nach des Tages Glut;
Schmeichlerisch küßt die leiserregte Flut
Mit Silberwellchen rings der Wälder Saum;
Und während ich gedankenvoll vom Rand
Des elf’nen Söllers blick’ auf Meer und Land,
Schweifst du, Geliebte, deinem Hang getreu
Im Gartengrund auf lichtbeglänztem Rain
Oder du rastest müd’ im Palmenhain,
Und traulich dir zu Füßen liegt ein Leu.
Ich liebe der Gebirge Schattennacht,
Die vielverzweigt durch weite Landesstrecken
Aus grauem Fels die wucht’gen Arme recken
Wie Spinnenbeine, wüst und ungeschlacht;
Dort schaut das Auge von erhab’ner Wacht
Am Himmelsgrund wie auf dem Meeresbecken
Gebilde zum Entzücken und Erschrecken:
Flutrollen, Wolkenzug und Sternenpracht;
Ich liebe Lebenskraft, Gedankenflug,
Größ’, und Geheimniß; hier den Baum, der sehnig
Aus winz’gem Keim aufwuchs in’s Ungemeine;
Doch, Kleine, du sei gut! – das ist genug:
Und lieb’ und lächle nur; - das scheint dir wenig?
Klein wünsch’ ich dich, nur dich, du liebe Kleine!
Wenn Hand in Hand wir beiden geh’n zur Au,
Maßliebchen dort und Veilchen uns zu pflücken,
Und klimmen frischgemuth zum Hügelrücken,
Der noch befeuchtet liegt vom nächt’gen Thau;
Oder vom Seegeriff im Dämmergrau
Abendgewölk betrachten voll entzücken,
Wie fern am Horizont es Trümmerstücken
Ähnlich erscheint von einem Riesenbau:
Wie oft versinkst du plötzlich dann in Schweigen,
Die Hand erzittert dir, die Wang’ erbleicht,
Dein Aug’ erglänzt so wunderbar und eigen!
Gebete murmeln Luft und Meer im Bunde,
Und rings des Weltalls Poesie beschleicht
Unmerklich unser Herz im tiefsten Grunde.
O Geist, der wandeln geht, wenn ob dem Meer
Einschläft der Wind und sich der Mond erhebt,
Schüchterner Sohn der Nacht, die wallt und webt,
Du nur begreifst mein Wehe, tief und schwer;
Gleichwie von fern’ allmählich ernst und hehr
Ein Trauerlied zum Ohr herüberschwebt:
So flößest du in’s Herz, das bangt und bebt,
Vergessenheit, mein einziges Begehr;
Dir sei’s vertraut, wie ich im Drang nach Licht
Mich mühe, zu zerstreu’n die Nebelschicht,
Im Schein die Wesenheit zu seh’n bedacht;
Und du verstehst den namenlosen Schmerz,
Den Wissensdurst, der Hirn verzehrt und Herz,
Du – Keiner sonst – o Genius der Nacht!
Im Traum – oft ist ein Traum kein Trug der Nacht –
Ergriff ein Sturm mich, und im Wirbelreigen
Ließ er empor zum Himmelsraum mich steigen,
Wo stets ein Frühroth glänzt in lichter Pracht;
Mich sah die Sternenschaar, die hold bewacht
Den Morgen, wie ich ging in Gram und Schweigen,
Und fragte mich, Mitleid mir zu bezeigen:
Sag’, armer Freund, was uns’re Schwester macht!
Doch ich – gesenkt die Augen, weil sie gleich
Die Weh’n verrathen, die mich wild zerplagen –
Ich schlich in Hast vorüber, stumm und bleich;
Nicht wagt’ ich’s, den Gestirnen, keusch und scheu,
Deinen Geschwistern, falsches Kind, zu klagen,
Wie ihrer unwerth du und ungetreu.
Nach dir alleinzig, stets verborg’ner Stern,
Du Traum der Wahrheit und der Liebe Schatten,
Hinschweif’ ich rings mit ängstendem Ermatten,
Mein Herz in mir vergrabend still und gern;
Altäre such’ umsonst ich nah und fern,
Ob frommen Wunsch Gewähr sie nicht verstatten;
Ich suche, doch gewinn’ ich nichts, als platten
Hohnspruch für mein Gebet, der Seele Kern;
Am Rand der Straße bin ich jetzt gesessen
Und schreie laut, indeß der Wind verweht:
„Was ich geliebt, verweh’ und sei vergessen!“
O mein Gemüth, das fest geglaubt an Tugend,
Wie’s einst mit Siechthum wohl und Alter steht,
Wenn dies sich Morgenroth benennt und Jugend!
Mag Ros’ und Lilie deine Stirn umreih’n,
Dir Liederpreis die Brust mit Wonne schwellen,
Zum Ruhme sich Vergötterung gesellen,
Mein Lieb, du meine Lust und meine Pein!
Mag Erd’ und Himmel – Stern’ und Blütenschein,
Würzhauch – die Luft, die Palme – Schattenstellen,
Und, ruh’n im Mondenlicht des Meeres Wellen,
Sein dumpf Geroll dir Traum auf Traum verleih’n!
Gedenke nicht an meine Zährenflut –
Vergiß sogar, du seist mein höchstes Gut –
Und wenn du nahst und deinen Blick entrücktest,
Sollen dem Thränenthau entsprießen sacht
Viel Blumen dort, daß du sie unbedacht
Zertretest oder lächelnd sie zerpflückest.
Mein Lieb, dereinst – vielleicht in kurzer Zeit,
Das fühl’ ich, weil erschlafft die Pulse gegen –
Wirst du gedenken unter Klag’ und Wehen,
Was scheu ich dir gelobt mit heil’gem Eid;
An deinem Pfühl, den kein Gedank’ entweiht,
Beim Dämmerlicht des Lämpchens wirst du sehen
Um Mitternacht mein Schattenbild erstehen,
Das vom Gesetz des Grabes sich befreit;
Dann wirst du, Engel, mit Geseufz den Arm
Auf mein Gewand hinstrecken, um zu wissen,
Ob’s wirklich sei, und fleh’n in Gram und Harm:
„Bleib und vernimm!“ – Doch taub für deine Pein,
Flieh’n werd’ ich wie ein Traum von deinem Kissen
Und in der Luft verweh’n wie eitel Schein.
Im Schlaf zuweilen, wenn ein Traum bezwingt
All mein verlor’nes Leid und Todeszagen,
Gleichwie die Lerche singt, vom Flug getragen,
Entschwebt gen Himmel meine Seel’ und singt;
Singt was den Tag mitleidig wiederbringt,
Das Licht, die Morgenglut, den Sonnenwagen,
Und singt der Dinge Reiz und ihr Behagen,
Wie Liebe sie beseligt und beschwingt;
Doch plötzlich weht ein Schauer, feucht und kühl,
Und überhaucht den Traum; ein Frostgewühl
Weckt mich; die Nacht ist schwarz und stumm; die
Schmerzen
Umsteh’n wie sonst mein Lager wüst und wild –
Mein Lied an’s heil’ge Licht, du Engelbild,
Ist nichts als Traum und Traum die Lieb’ im Herzen.
Mutter – die Trost mir geb’ im Schmerzenbrand,
Mich schütz’ in eis’ger Lebensnacht vor Schaden,
Mir knüpf’ auf’s Neu den halbzerschnitt’nen Faden
Des armen Daseins mit befliss’ner Hand;
Mich trag’ im Schlafe fort durch Sumpf und Sand,
In tiefster Finsterniß auf schlimmsten Pfaden,
Und lass’ in ihrem Augenlicht mich baden
Und säubern meiner Seel’ entstellt Gewand: -
Ich früge nichts nach Mannesstolz – ich früge
Nach allem Wissen nichts, dem wüsten Dust
Und würd’ ein Kind, zufrieden und gefüge
Wie Vogelbrut, gestillt durch Pfleg’ und Futter,
Wofern ich ruhen könnt’ an deiner Brust
Und nennen dich, Geliebte, meine Mutter.
Rauch und Gewirr. – Abends am Himmelsplan
Steh’n Schlösser buntgefärbt, die weit sich
strecken,
Bald züngelnd lichterloh nach allen Ecken,
Bald dampfend wie ein mächtiger Vulkan;
Dann zieh’n Gestalten laß auf schwanker Bahn,
Als wären’s träumende, verliebte Gecken –
Seelen, entwallend zwischen Licht und Schrecken
Dort auf dem luft’gen Acheron im Kahn; -
Mein Lämpchen lösch’ ich, wenn du deinen Brand
Löschest, o Sol; - dann sind gesammt wir einsam;
Und so vereinsamt schwind’ ich wie ein Hauch!
O Wolkenschicht im West, o flücht’ger Tand,
Ich weiß um deine Farbe, weil gemeinsam
Uns Größ’ und Schönheit all zerfließt in Rauch.
Ich zweifle nicht, daß stets in gleicher Lage
Harmonisch sich die Welten dreh’n und schweben,
Zum Menschen Stein sich und Insekt erheben
Und aus der Nacht der Mensch entsteigt zum Tage;
Gott nenn’ ich nicht Tyrann in thör’ger Klage,
Und nicht den Himmel Nacht nach diesem Leben,
Noch Schatten hier das Wesen und Bestreben,
Zufall – die Ordnung, das Gesetz – Geplage;
Mir gilt Natur als Mutter, bis zur Stunde
Als Mutter; - ach, und wenn mit frohem Munde
Ich lächle nie und selten mich geduld’ge;
Wenn nichts erscheint, was diese Kält’ erwärme,
Und stets betrübt ich und vergällt mich härme:
Sio scheint es, ich allein – ich bin der Schuld’ge.
Mir träumt, ich fahr’ umirrend ohne Rast,
Ein Paladin der Minne, durch die Lande
Und such’ in Winterfrost’ und Sommerbrande
Ringsher nach Frau Fortunas Wunschpalast;
Bereits erlieg’ ich all der Müh’ und Hast,
Am Schwerte Scharten, Riss’ im Stahlgewande:
Da seh’ ich plötzlich fern am Bergesrande
Aufglüh’n der Zinnen Kranz in gold’gem Glast;
Hineilend ruf’ ich mit Geschrei und Pochen:
„Ich bin enterbt, verlassen und gebrochen,
Spring auf, erbarme dich, du Thor des Lichts!“
Da klafft die Pforte mit gewalt’gem Schlage;
Jedoch im Inn’ren find’ ich Schmerz und Klage,
Schweigen und Finsterniß – und anders nichts.
Das Weib, die all mein Herz erfüllt, besitzt
Kein Lilienweiß, kein Purpurroth der Rose,
Gleicht Venus nicht durch reizendes Gekose,
Noch ist ihr Gliederbau so fein geschnitzt;
Ist Circe nicht, die gift’gen Trank verschmitzt
Mit Zauberhand gewinnt aus Kraut und Moose,
Noch Amazone, die im Kampfgetose
Des Renners Mähn’ ergreift, vom Stahl umblitzt;
Mich selbst befrag’ ich drum, jedoch mir fehlt
Das Wort, um dies Gebilde zu benennen,
Das mein Geschick bald zeigt und bald verhehlt;
Ist’s eine Spiegelung im Himmelsraum?
Ein Ideal? tiefinnerstes Erkennen?
Gewölk? der Sehnsucht unerreichter Traum?
Ach, hätt’ ein Kriegerschwert ich kühn geschwungen
Und mich getummelt muthberauscht im Kampfe,
Wo zitternd Fürst und Volk im Schlachtgestampfe
Den Launen des Geschickes steh’n verdungen!
Dann athmeten behaglich meine Lungen
Auf blut’gem Plan in glühem Staub und Dampfe,
Oder ich fiel’ als Held, vom Hufgestampfe
Und Waffenlärm in letzten Schlaf gesungen;
Dann säh’ ich nicht das Morgenroth des Lebens
Unnütz verbleichen, noch als Lohn des Strebens
Mir zugetheilt bloß Traumgebild’ und Leid;
Und säh’ in meiner Hand, der freudelosen,
Nicht welken allesammt die traur’gen Rosen
Der faden, unfruchtbaren Jugendzeit.
Laß geh’n den Vogel, den um Nest und Brut
Und alles rauh des Frevlers Hand betrogen,
Im öden Luftraum, drein er aufgeflogen,
Endlos und einsam mit gebroch’nem Muth;
Laß geh’n das Segel, das der Stürme Wuth
Hinwarf im Wirbel auf empörten Wogen,
Als aus dem Abgrund kam die Nacht gezogen
Und wild der Süd aufthürmte Flut um Flut;
Laß geh’n das müde Herz, dem jede Labe,
Glaub’ und Vertrau’n und Friede schwand wie Schaum,
Zum stillen Tode, zum verschwieg’nen Grabe;
Laß geh’n das letzte Lied, das letzte Beben
Des Saitenspiels – den letzten Hoffnungstraum –
Und Lieb’ und Leben – laß es geh’n, das Leben!
Gestalt, die wundersam du je und je
Enttauchst der Träume schreckendem Gebrande
Und streifst mir mit dem bauschenden Gewande
Die bleiche Stirn, zerwühlt von Angst und Weh!
Dich trägt der Nachthauch über Sund und See, -
Ich frag’ umsonst mit grübelndem Verstande,
Wie dich die Glücklichen in deinem Lande
Benamsen, du gegeimnißvolle Fee!
Doch welch ein Loos ist meins! wie muß verglimmen
Dies Morgenroth doch gleich dem Abendlicht,
Wenn trüb Gewölk wir seh’n im West verschwimmen!
Daß selbst die Nacht mich nicht beläßt im Wahne!
Daß bloß von fern’ ich und im Traum dich ahne –
Und selbst im Traum nie schaue dein Gesicht!
Die ich geliebt, wer weiß, wohin der Wind
Sie all’ entrückte, mir zu Gram und Leide;
Oft streck’ ich Nachts zum Gruß die Arme beide
Und küsse Schemen, die der Traum ersinnt;
Doch bitt’rer kränkt – denn ruhig und gelind
Ist Harm um Todte, die ich tief beneide –
daß Mancher naht und zeigt, wie gern er meide
Mein ödes Dasein, das gemach verrinnt;
Vom süßen Jugendglück und Frühlingsschein
Kein Röschen mehr, kein Blümchen nenn’ ich mein:
Sturm riß und Kälte fraß an all dem Schönen;
Nur du – du bliebest treu; auf mein Gesicht
Lenkst du wie sonst dein Auge, klar und licht,
Um meinen Schmerz zu seh’n und – zu verköhnen.
Du kamst auf diese Welt für Leid und Pein;
Und ließ das Schicksal deine Wieg’ im hellen
Prunksaal am Bett der Königin bestellen
Anstatt des Platzes, wo’s dich rief in’s Sein;
Ließ Blüten dir, die’s Glücklichen allein
Und Reichen giebt, um Haupt und Brust entquellen
Und dich Fortunens Günstlingen gesellen:
Dein ward das Loos, das jetzt geworden dein;
Dein mußt’ es werden; - im versunk’nen Blicke,
Der nicht der Erd’ entstammt und stumm gemahnt
An grenzenlos unselige Geschicke,
In Stimm’ und Wesen, eigen, ernst, beklommen,
In allem seh’ ich was ich längst geahnt:
Für Led und Pein bist du zur Welt gekommen.
Vernimm, du mein gequältes, müdes Herze,
Was aus der Herbstnatur dir tönt zu Ohren:
Viel besser war’s, du wärest arm geboren
In rauhster Einsamkeit zu Not und Schmerze;
Und wärest nackt als Kind auf starrem Erze
Und Stein gelegen, stöhnend und verloren,
Als daß der Schönheit Fee dir hatt’ erkoren
Täuschung zum Wiegenbett in schnödem Scherze;
Viel besser war’s dem schwärmenden Gemüthe,
Du hättest kalt und stumm – indeß du säumtest
Von tausend, die du brachst, bei keiner Blüte –
Durchwallt die arge Welt, ein bunt Geschäume,
Mit Gram und Groll und Wuth, als daß du träumtest
Die du geträumt – die idealen Träume.
XLV.
Grabstätte.
Dort wo das Meer sich bricht am Felsenrand
Eintönig brausend, und in Kluft und Spalt
Der Wind sich fängt und sein Geheul erschallt:
Verscharret dort mein Herz am öden Strand;
Aussengen soll es dort der glühe Brand
Der Sonne sommerlang und ohne Halt
Und dann zur Winterzeit des Sturms Gewalt
Dicht überschütten mit gedörrtem Sand;
Bis sich’s verwandle ganz in flücht’gen Staub
Und bald, vom Lufthauch fortgerafft als Raub,
Hinfahr’ in Wirbelwind und Sturmgeweh’;
Nach Qual und Kampf mit seinem Lebensloos
Und Liebeswahn zerlös’ es sich im Schooß
Der weiten, unfruchtbaren, bitt’ren See.
Weil all die Götter alter Zeit in Rauch
Mit all den heil’gen Träumen längst verwehten,
Dolmen und Tempel blieben unbetreten,
Und Kerz’ und Scheit verlosch im Windeshauch;
Weil sich der Sinai bewölkt’ und Strauch
Und Kraut verlor sammt Opfern und Gebeten,
Vergessenheit bedeckte die Propheten,
Und ihre Lehre schwand aus Sitt’ und Brauch;
Weil sich der Himmel schloß und nimmer kam
Auf Jakobs Leiter und auf Jesu Pfade
Ein Engel mehr zum Trost im Erdengram:
So fehlt der Glaubenslilie Luft und Licht;
Gott barg mit seiner Hand den Strahl der Gnade,
Und vor der Welt verhüllt’ er sein Gesicht.
Das Kreuz begann zur erde, drauf es stand,
Zum starrenden Gebirg’ und düst’ren Thal:
„Was bist du, Schlund und Käfig, drin die Qual,
Der trotz’ge Kampf, das Wehe nie verschwand?
Dein stetes Müh’n, o Sklavin, was erfand
Und schuf es groß und gut nach Art und Zahl?
In Ruhe – bist du Koth, entstellt und schal,
Und in Empörung – Lavagut und Brand;
Wor wär’ ein Berg, deß Höhe mir den Sieg
Je könnt’ entzieh’n? ich bin die Lieb’ und Huld,
Nur ich; der Frieden ich, und du der Krieg;
Ich Geist und Licht, du Nacht und Trauer nur,
O feiler Schlamm!“ – Die Erde, voll Geduld,
Versetzte drauf: „Kreuz, ich bin die Natur.“
Lieb sei die Nacht dem Prasser, bleich und fahl,
Dem Weiberknecht, nach Sinnenreiz verlänglich,
Und Jedem, der verdumpft und unverdränglich
Zutreibt dem Absturz in’s verlor’ne Thal;
Den Troß, - o Luna! mit dem dunst’gen Strahl
Triff ihn, verbirg ihn, mach’ ihn unempfänglich
Für Schmach und Laster, graus und unvergänglich,
Sowie für endlos lange Pein und Qual!
Lieb bleibe mir die heil’ge Morgenfrühe,
Der volle Tag, der Leben schafft und nährt,
Des Abends froh Gewühl nach Plag’ und Mühe:
Arbeit und Kampf im Licht! und läßt sich melden
Der Tod, so sei ein Blick mir noch gewährt
Zum heit’ren Sol hinauf, dem Freund der Helden!
In deiner Hand erstrahlt, du düst’rer Held,
Den Stahlgewand umschirmt mit schwarzen Reifen,
Ein mächt’ger Degen aus Kometenschweifen,
Der wie ein Blitz die Finsterniß zerspellt;
Umfahrten hältst du, tiefster Nacht gesellt,
Die du entsendest, alles zu ergreifen;
Die helle Kling’ allein mit falben Streifen
Enttaucht der unheilvollen Nebelwelt. –
„Die meine Faust umspannt, die lichte Wehr“,
Versetzt der schwarze Ritter ernst und hehr,
„Sie ist das Schwert der Wahrheit ohne Schleier;
Wund macht’s und heil, bringt Gram zugleich und
Trost,
Wer ihm verfällt, hat Ruh’ und Rast erlost;
Ich bin der Tod; drum bin ich der Befreier.“
Das schwarze Roß, deß Trab, sobald sich mild
Der Abend senkt, ich hör’ im Traum mit Schrecken,
Und des Galopp ich sehe Nachts sich strecken
Im Schwarm von Wahngestalten, Bild an Bild;
Wo kommt es her? welch heiliges Gefild,
Grausig und groß, durchflog’s? denn Furcht erwecken
Sein Blick und Bau, und Angst und Eile recken
Empor das Mähnenhaar ihm wüst und wild;
Ein hohes Weib, die bald in stiller Feier
Glückselig lächelt, bald Verderben droht,
Vertraut sich, leicht umhüllt von losem Schleier,
Sorglos des Ungethüms gewalt’gem Triebe:
„Ich bin“, so spricht das schwarze Roß, „der Tod“;
„Und ich“, versetzt die Reiterin, „die Liebe“.
Der nichts von Hoffnung, Lieb’ und Glauben weiß,
Du finst’rer Geist der ewigen Verneinung,
Dein Hauch befiel die Seele mit Versteinung
Und sengt’ im Inn’ren jedes Frühlingsreis; -
Hinwandelnd traumhaft über Frost und Eis,
Wo Nacht und Oede herrschen in Vereinung,
Vernehn’ ich „Nein!“ auf jede Frag’ und Meinung,
Das ewig widerhallt im Sphärenkreis; -
Was stöhnst du und beweinst die Qual des Lebens,
Zaghaftes Herz? du richtest doch vergebens
Allzeit der Selbstsucht Klag’ an dein Geschick; -
Feiglingen laß, laß Schwärmern das Geträume
Verlor’ner Hoffnung, Schemen all und Schäume; -
Trotze dem Abgrund du mit heit’rem Blick!
Ich sah den Tod leibhaftig vor mir steh’n,
Ja! vor mir steh’n als ob ein grauser Drache
Aufspräng’ im Hinterhalt und stürzt’ auf schwache
Armsel’ge Wandrer, die des Weges geh’n;
Glutodem schien den Nüstern zu entweh’n,
Und zu entsprüh’n den Augen Wuth und Rache:
„Was suchst du“, spach ich, „Wolf, deß tausendfache
Mordlust die Welt hinwürgt trotz Flucht und Fleh’n?“
„Sei ohne Furcht!“ versetzt’ er, und der Ton,
Unheimlich fremd, als ob sich drin verhehle
Graunvolles Unheil, klang wie Haß und Hohn;
„Nicht deinen Leib – noch hat es keine Noth
mit solchem Raub – ich suche deine Seele!“
„Ach! sagt’ ich, „meine Seel’ ist lange todt.“
Erhebend Arm’ und Blick zum Himmelszelt,
Verklagt die Unsichtbaren blöd’ und bänglich
Der Mensch: „Ihr Götter, starr und unempfänglich,
Wem nützt das Schicksal, das uns kalt zerschellt?
Warum erschuft ihr uns? Vorüberschnellt
Die Zeit und zeitigt bloß was unverdränglich:
Schmerz, Sünde, Täuschung, Kampf im überschwenglich
Wahnwitz’gen, wüsten Wirbelwind der Welt;
Viel besser wär’s, in öder Friedensruh’
Des Nichts und deß, was nimmer trat zu Tage,
Dumpf und gefühllos schlafen immerzu;
Warum doch habt ihr uns zur Qual gemacht?“ –
Doch trauriger verhallt der Götter frage:
„Warum doch habt ihr, Menschen, uns erdacht?“
LIV.
Spiritualismus (1)
Wie Todesodem und Verderbenshauch
Hinzog der Zweifel durch das Weltgebäude;
Jach ward es Nacht, und rings erstarb die Freude
Auf Erden im vereisten Nebelrauch;
Kein Stern am Himmel, keine Blüt’ am Strauch
Gewiegt vom Wind, kein Vogel im Gestäude;
Ein schleichend Gift erzeugte Fäul’ und Räude
In Sein und Leben, Glauben Sitt’ und Brauch;
Und in der Nacht, erfüllt mit Graus und Groll,
Die kalt verharrt in Schweigen und entfaltet
Ihr feuchtes Schweißtuch, drin Entsetzen waltet,
Keimt bloß ein Blümchen noch geheimnißvoll
Als uns’rer Wesenheit verzagter Kunde
In des Bewußtseins tief verborg’nem Grunde.
LV.
Spiritualismus (2)
Schlaf, unbeflecktes Blümchen, schlaf im Eis!
Und still – nun einen Strahl, den letzten hellen,
Bitte die Sonnen, die im All zerschellen,
Verlosch’nen Stirnreif schleppend, siech und greis;
Umsonst! des Abgrunds Rachen, hohl und heiß,
Ruft dich, daß rings die starren Lüft’ ergellen;
Dem ew’gen Schlund entsteigt in Wirbelwellen
Urfinsterniß und füllt den Sphärenkreis;
Auch du vergehst! wie Hall in dumpfer Kluft
Verklingt im Nachtbereich voll Dunst und Brodem
Dein letztes Ach dir, und dein letzter Duft
Zerstiebt im öden Raum des Erdenballs
Wie des Verscheidenden beklomm’ner Odem
Und wie der Sterbehauch des Weltenalls.
Gespenster, die ihr wacht, wenn kurz und schlecht
Mich Schlaf befällt, und die, geneigt zum Kissen,
Die nächt’ge Rast, von wüstem Traum zerrissen,
Mit Schreck und Angst ihr stets mir unterbrecht!
Was hilft’s, daß rein ich leb’ und bin gerecht
Und aus des Schicksals Hand mir ernstbeflissen
Ein Stück Erkenntniß, ein vereinzelt Wissen
Mühsam erbeut’ in täglichem Gefecht:
Wenn auf mich starrend mir am Leben saugen
Stets diese traurigen, verfluchten Augen,
Und wenn ich sie, mit Furcht und Fieberglut,
Deutlich vergießen fühl’ auf’s Bett hernieder,
Langsam vergießen fühl’ auf Haupt und Glieder
Ungläub’gem Zweifelns frost’ge Thränenflut?
Im nächt’gen Traum, unstet und buntgereiht,
Als Angst mich heiß, unsäglich heiß durchglühte,
Erschien mir dein Gesicht, so reich an Güte,
An – mehr als Güte, reich an Herzeleid;
Nicht war es Schönheit erdgebor’ner Maid,
Und nicht der Jugend allgewohnte Blüte; -
Nein! Lieb’ und Licht, ausstrahlend vom Gemüthe,
Wie keins Natur erschuf zu keiner Zeit; -
Ein mystisch Weh’ – ein Harren in Geduld,
Sanfte Verzeihung und beseelte Huld,
Der letzten Stunde friedliches Ergeben; -
O Bild, du mitleidvolles, trübes Bild!
Sieh stets mich an, so still, verweint und mild,
Und laß verträumen mich das ganze Leben!
LVIII. An
die Nacht
Nacht, dir gehört mein Denken, dir allein,
Wenn ich im grassen Licht betracht’ am Tage
All die vergeb’ne Müh’, verlor’ne Plage
Und all die nutzlos überstand’ne Pein; -
Du wenigstens erstickst das Weheschrei’n
Das sich entwindet dem Verließ der Klage; -
Das stete Leid, wie sehr es quäl’ und nage,
Schläft und vergißt in dir, obgleich zum Schein; -
Ach, daß du selbst, auf ewig unerhellt,
Unwandelbar und unbewußt der Schmerzen,
Schliefst und vergäßest, hergeneigt zur Welt;
Und daß die Welt, auf ewig unerwacht,
Schlief’ und vergäße, dir am heil’gen Herzen,
Nacht du des Nichtseins, endelose Nacht!
Den schmalen Pfad, wo kaum ein grüner Fleck
Für Blume, Nest und Quell sich kaum gestalten,
Wo Dürr’ und Oede rings den Grund zerspalten
Und Fieberhauch sich lagert im Versteck;
Den schmalen Pfad beschritt ich kühn und keck,
Und keck und kühn beschaut’ ich die Gestalten,
Die schemenhaft dem Horizont entwallten,
Daß meinen Starkmuth träfen Angst und Schreck:
Wer seid ihr doch, gespensterhafter Pilger?
Gram, Ekel, Trug und Schmerz, die Lustvertilger,
Und lugend hinterdrein die letzte Noth;
Ich kenn’ euch wohl: ihr bringt den müden Streiter
Zum Scheideweg; ihr schweigenden Begleiter,
Willkommen denn! auch du willkommen, Tod!
Im Traum an mir vorüber zieh’n Gesichte,
Gespenster meiner eigenen Gedanken,
Wie Schemen, die im Winde weh’n und wanken,
Bis jäh ein Wirbelsturm sie macht zunichte;
Sie dreh’n sich knäuelhaft im Nebellichte,
Ich höre wirres Schrei’n, Gelärm und Zanken
Und sehe sie wie Dunstgebilde schwanken;
Doch unterscheid’ ich allesammt die Wichte;
Phantasmen ihr, erzeugt in meinem Hirne,
was glotzt ihr starr mich an mit kalter Stirne,
Indeß ihr auftaucht Blasen gleich im See?
Wer seid ihr? meine Schergen oder Brüder?
Elend Gezücht, Geschwisterschwarm der Hyder! –
Ich aber, wer bin ich? O weh mir, weh!
Jenseits der Welt, fernab vom Sternenheer,
Wo Wandel herrscht und Wechsel, Streit und Streben,
Suchen und Sehnen und Gelärm und Leben:
Da gähnt ein Abgrund, düster, graus und leer;
Der Wogenschwall dahier im stürm’schen Meer
Stürzt aufgestaut alldort zurück mit Beben;
Der Unbeweglichkeit anheimgegeben,
Stirbt Sinn und Sein darinnen, träg’ und schwer;
Und wenn der Geist, bevor er ganz verhaucht,
Mühselig jenem Todtenreich enttaucht
Und schaut umher die Dinge, schal und schnöde,
Im Himmelslicht, unendlich schön und weit:
So sieht vergrämt er rings in Raum und Zeit
Trug nur und Täuschung, Ekel nur und Oede.
Ich rief herbei zu meinem frost’gen Pfühl
Die Rückerinnerungen bess’rer Tage,
Nachtschemen, die, geneigt mit leiser Klage
Auf meine Brust, belauschen mein Gefühl;
Und sprach: „Im weiten, engen Weltgewühl,
Lohnt sich’s der Mühe, daß man bang’ und zage
Geboren ward? Antwortet auf die Frage,
Ihr Rückerinnerungen, arm und kühl!“ –
Drauf wurden unruhvoll sie allzumal
Und standen ganz betrübt und bleich und fahl,
Sogar die heiterste der Jugendfrühe;
Dann sprach gelassen gegliche Gestalt,
Um ihren Mund ein Lächeln, krank und kalt,
Und sagte: „Nein! es lohnt sich nicht der Mühe.“
Amor erschien mir: matt und freudeleer
Hinschaut’ er starren Blicks, wie Geisteskranke;
Im Auge lag alleinzig der Gedanke
Rastloser Pein und innerster Beschwer;
Spukhaft in Lüften stand er, sonder Wehr,
Verhüllt in Nebel die Gestalt, die schlanke;
Als quält’ ihn Marter ohne Halt und Schranke,
Rang er die mag’ren Arme kreuz und quer;
Und aus den Schwingen, deren Kraft zerfiel,
Riß den beschmutzten Schmuck er, Kiel für Kiel,
Aufschluchzend oft und laut mit Wuthgeberde,
Mit Wuthgeberde, reuelos und graß,
Und des Gespenstes Thränen tropften laß
Und glühendheiß hernieder auf die Erde.
Schon ruht das Herz nach wildem Kampfgebraus,
Und schon vergönnt mir’s Frieden, seit als Possen
Das Gut ich kenne, drum der Mensch entschlossen
Mit Welt und Schicksal ringt in Streit und Straß;
Ich drang zum Innersten im Tempelhaus
Des Sinnentrugs, die Stirn mit Schweiß begossen,
Und sucht’ und fand, mißmuthig und verdrossen,
Nur Staub und Oede, Finsterniß und Graus;
Nichts beut die Welt – könnt’ auch das All sich
dehnen
Unendlich, wie man’s wähnt im Jugendtraum –
Was uns’rer Seel’ erfüll’ ihr heißes Sehnen;
Zum Reich des Unsichtbaren, Unerfaßten
Hinüber Wüst’ und Leere, Zeit und Raum
Auffliegt der Geist, dort leidenfrei zu rasten.
Einst war ich Fels und war in alter Welt
Baum oder Strauch im unbekannten Wald;
Als schäum’ge Welle ward ich ohne Halt
Vom frühsten Feinde, dem Granit zerschellt;
Ich brüllt’ als Raubtier, wo zu schatt’gem Zelt
Einhüllten Ginst und Farn den Höhlenspalt,
Und hob als urweltart’ge Mißgestalt
Lässig den wüsten Kopf aus Sund und Belt;
Jetzt min ich Mensch – und seh’ im falben Licht
Weithin zu Füßen mir die Stufenschicht,
Die niedersteigt in vielgewundnem Gang;
Das Unbegrenzte fragend, wein’ ich still;
Doch, ausgestreckt die Händ’ in’s Leere, - will
Und wünsch’ ich Freiheit bloß aus diesem Zwang.
Gieb deinen Namen, ernstes Bild, mir kund,
Das schon am Wendepunkt der Straße lauert,
Wenn auf der Fahrt mein Herz erlahmt und trauert,
Von Angst und Ekel übermüd’ und wund;
In deinem Aug’ erscheint der Meng’ ein Schlund:
Sie birgt das Antlitz, zittert und erschauert;
Ich traue dir und horche, wenn gekauert
Du rastest, auf ein Wort aus deinem Mund;
Bei jedem Schritt ersah in licht’rem Strahle,
O Sohn der Nacht, mein Geist die Ideale,
Die dein gestrenger, starrer Blick mir bot;
Dein Busen wird einst meine Schlummertruhe
In Allgemeinschaft ew’ger Friedensruhe,
Du unverletzlicher Befreier Tod!
Mit off’nen Augen träum’ ich hinzugeh’n
Nicht zwischen Formen all des Sinnbefänglichen,
Nein! angesichts des Ewig-Unvergänglichen
Geruhig zwischen Geistern und Idee’n;
Vor mir die Welt – was ist sie? Windesweh’n,
Schein ohne Sein, Bruchstücke des Verdränglichen,
Wolken des Täuschenden und Unzulänglichen,
Die ob dem unmeßbaren Schlunde steh’n;
Und rings aus Dunst und Nebel hör’ ich tönen
Ein fernes Aechzen bloß, ein leises Stöhnen:
’s ist das Geseufz, die Klage, tief und groß,
Der Dinge, die mit Beben und Erbangen
In Nacht und Blindheit lechzen und verlangen
Nach and’rem, bloß geahntem Licht und Loos.
O Nacht, verschwistert mit Vernunft und Tod,
Wie hab’ ich fragend oft dir nachgehangen,
Auskunft durch dein Orakel zu erlangen,
Vertraute des Geschicks, das Allem droht!
Dein Sonnenheer – wem folgt’s auf sein Gebot,
Ruhlosen Seelen gleich in Bann und Bangen?
Und rings der Mensch – was irrt er grambefangen
Und sucht umsonst nach Hülf’ in seiner Noth?
Doch im gewalt’gen Leichenzug entführt
Unheimlich, sieghaft, stumm und ungerührt
Die Nacht den Stundenschwarm auf düst’rer Schwinge;
Trübsal und Zweifel herrscht im Weltenraum,
Und ich, versunken ganz in tiefsten Traum,
Lausche dem Seufzerlaut der finst’ren Dinge.
LXIX.
Erlösung (1)
Stimmen in Meer und Luft, in Thal und Hain,
Wenn mich das mächt’ge Lied aus eurem Munde
Einlullt in schweren Traum zu nächt’ger Stunde,
Dann scheint der mein’gen gleich mir eure Pein;
Aufdämmernd Wort im unbewußten Sein
Der stummen Welt, geheimnißvolle Kunde:
Ist dieser Klageton der weiten Runde
Nicht der Natur Geseufz und Weheschrei’n?
Die Unermeßlichkeit belebt den Geist;
Die Wechselflucht der Dinge preßt und reißt
Den grausen Freiheitsruf aus allen Kehlen;
Mein Herz versteht den fremden Laut der Qual,
Stimmen in Luft und Meer, in Hain und Thal,
Geschwisterseelen, ihr gefang’nen Seelen!
LXX.
Erlösung (2)
Klagt nicht, du Hain und Thal, du Luft und Meer,
Vieltön’gen Lärms, ein nie verstummter Reigen
Uralter Stimmen, schmerzerfüllt und eigen,
Als stünde rings und stöhnt’ ein Larvenheer;
Den Dämmerschein der Schemen, öd’ und leer,
Durchbrechen sollt ihr einst und hell entsteigen
Dem grausen Traum, deß Ängst’ und Weh’n sich zeigen
In eurem Schrei’n voll Sehnen und Beschwer;
Ihr Seelen, noch im Werdekreis befangen,
Zum Selbstbewußtsein sollt ihr dann gelangen
Und ruhend, ein Gedanke klar und rein,
Sollt ihr der Täuschung Töchter, die Gestalten,
Verschwunden seh’n wie Töne, die verhallen;
Dann endlich wird beendigt eure Pein.
Versenkt in ein Geträume, tief und schwer,
Deß düst’re Nacht phantast’sche Blitze lichten,
Hintaumelnd durch ein Volk von Spukgesichten,
Schweift ungestüm mein Denken kreuz und quer;
Tobend und tosend, ein empörtes Meer,
Deß Wasserberge himmelauf sich richten,
Im Dämmerschein von Dunst und Nebelschichten
Umkreist mich ruhelos das Weltenheer;
Ein ew’ges Ach, ein schmerzliches Gestöhn
Trifft mein Gehör mit dauerndem Gedröhn,
Ein schauderhaft eintöniges Geflute;
Im Herzen bloß – ich such’ umsonst den Grund –
Giebt unbewußt sich eine Stimme kund:
Die zeigt mir heimlich und bezeugt das Gute.
LXXII.
Kampf.
Still schläft die Nacht, gelehnt an Berg und Bühl:
Ein Friedenstraum, - so steigt in Ruh’ und Schweigen
Der Mond herauf; kein Hauch in Waldgezweigen;
Kein Laut im Thalgelände, feucht und kühl;
Doch mich erfüllt mit schauderndem Gefühl
Die Nacht mit ihrem Reiz, so fremd und eigen,
Und wirr wie Nebelduft umwallt ein Reigen
Von Nornen und Gespenstern meinen Pfühl;
Ein Räthsel tief und ungelöst! – Erschreckt
Stockt Sinn und Denken, und dahingestreckt
Anstarr’ ich dann, erschlafft von Müh’ und Plage,
Ringsum die Schemen unbewußt und stumpf,
Indeß vom öden Strand gedehnt und dumpf
Herschallt, o Meer, dein altes Lied der Klage.
LXXIII.
Unter den Todten.
Die ich geliebt, wo sind sie? – Fort, verweht,
Entrafft vom Wirbelsturm nach fernen Räumen,
Zwischen Gespenstern schwebend, wie in Träumen,
Durch’s Weltenall, das jach im Sturz sich dreht;
Und ich – indeß mein Fuß gefesselt steht
Vom Schwall und Bann der Fluten, die sich bäumen –
Aufsprühen seh’ ich bloß ein falbes Schäumen,
Draus manch Gesicht auf taucht und drin vergeht;
Doch – harr’ ich still und kann das Augenlid
Geschlossen halten: fühl’ ich sie auf’s Neue,
Die ich geliebt, mir nah; das lebt und sieht,
Hört und versteht mich, wie ein Freund es thut,
Vereint in alter Lieb’ und heil’ger Treue,
In Geistgemeinschaft mit dem ew’gen Gut.
LXXIV. Oceano nox.
Am Meere, das in Trauer hohl und rauh
Die Stimm’ erhub, dieweil des Windes Zug
Vorüberstrich, gleich wie Gedankenflug
Bald rasch enteilt, bald zauderst laß und lau;
Am Meere saß ich, trüb in’s Wolkengrau
Hinstarrend, dessen Wucht der Himmel trug,
Und dem Gejammer, das an’s Ohr mir schlug,
Nachgrübelnd fragt’ ich Wasser, Luft und Au:
„Welch Sehnen übermannt euch Tag und Nacht,
Urstoffgebilde! welch verhohl’ne Macht?
Welch Sein umkreist ihr schwebenden Gewichts?“ –
Doch aus dem Weltallsraum, darein sich hüllt
Ewig das Unbewußte, braust und brüllt
Antwort ein Schmerzaufschrei – und weiter nichts.
LXXV.
Geistgemeinschaft
Hinweg mit Klag’ und Harm! Bedenk’ o Herz,
Wie viele vor uns hier im Dunkel schritten
Und ungewiß entsandten Wünsch’ und Bitten
Zum selben Himmel, kalt und hart wie Erz!
Glanzlos das Licht, schal Lenzeslust und Scherz!
Doch rangen sie geduld’gen Sinns und stritten
Vertrauensvoll aus inn’rem Trieb und litten,
Im schlichten Glauben stark, Beschwer und Schmerz;
Und bin ich mehr als sie? Vergess’ner Massen
Schicksal enthüllt mir meins gewiß und wahr;
Hinwandeln will ich meinen Weg gelassen
Mit jenen stummen, freundlichen Gestalten,
Demüth’gen Glaubens gleich der Väterschaar,
In Geistgemeinschaft beigesellt den Alten.
Ich sprach: „Da sieh, mein Herz, wie unverdrossen
Unnütze Wege wir gewallt! Betrachte
Hier aus erstarrter Höh’ die ungeschlachte
Einöde, die mit Thränen wir begossen!
Sieh! Asch’ und Staub, wo Blatt und Blüt’
entsprossen,
Und Winternacht, wo Frühlingstag uns lachte!
Ja! sieh die Welt danieden und verschmachte
Verzweifelnd, weil du Trug gesä’t und Possen!“ –
Jedoch das Herz, starkmuthig längst und sträubig
Und hartgeschult im Leidensgang des Lebens
Und durch gehäufte Qual bedacht und gläubig,
Versetzte: „Drunten seh’ ich rings die Liebe;
Ist dies das Leben, war es nicht vergebens,
Und nicht umsonst – enttäuschte Wünsch’ und Triebe.“
„Laßt zu mir kommen, die im Kampfe stunden,
Laßt zu mir kommen, die an Troste leer,
Und die vergrämt und kummervoll empfunden,
Daß eitel war ihr Thun und ihr Begehr;
Bei mir verheilen ungeschlossne Wunden:
Unglück, Verzweiflung, Leidenschaft, Beschwer;
Der Strom der Qual, den nie ein Damm gebunden,
Zerfließt in mir wie Morgenthau im Meer.“ –
So spricht der Tod – verhüllte Wort’ und Laute,
Ausdeutend was kein Sterblicher erschaute,
Zwar kalt und stumm mit ernstem Angesicht,
In seiner Stummheit lauter doch und mächt’ger,
Als Meergebraus, und wärmer doch und prächt’ger
In seiner Nacht, als selbst das Tageslicht.
LXXVIII.
In Gottes Hand
In Gottes Hand, in seiner rechten Hand
Gewann zuletzt mein Herz ersehnte Rast,
Seit ich des Trugs verzauberten Palast
Auf schmalem Weg mich Schritt für Schritt entwand;
Wie welke Blumen, die sich Mädchentand
Zum Schmuck erlas, hinwarf ich all den Glast
Der Schwärmerei und Leidenschaft in Hast,
Irrwahngebilde voller Unbestand;
Dem Kinde gleich, am düst’ren Wandertag –
Die Mutter hält’s an ihre Brust gedrückt
Und wallt, beseligt lächelnd, immerzu
Durch Sumpf und Wüstenei, Gefild und Hag –
So schlaf, befreites Herz, hinfort beglückt,
In Gottes Hand auf ewig schlaf in Ruh’!